Verkehrsrecht – Absehen vom Fahrverbot: Vorliegen besonderer Härte kann nur bei tragfähigen Feststellungen angenommen werden, OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 26.04.2022 , Az.: 3 Ss-Owi 415/22
Sachverhalt
In dem vorliegenden Fall geht es um einen Berufskraftfahrer, der außerhalb einer Ortschaft die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritt. Der Fahrer wurde mit einer Geschwindigkeit von 143 km/h gemessen, obwohl an der entsprechenden Stelle nur 100 km/h erlaubt waren. Der Verstoß lag damit 43 km/h über der zulässigen Geschwindigkeit. Aufgrund dieser Geschwindigkeitsüberschreitung wurde ein Bußgeld von 160 Euro verhängt, verbunden mit einem einmonatigen Fahrverbot, das nach der Bußgeldkatalogverordnung (BKatV) für einen solchen Verstoß üblich ist.
Der Fahrer legte jedoch Einspruch gegen diesen Bußgeldbescheid ein. Im anschließenden Verfahren vor dem Amtsgericht Wiesbaden wurde das Fahrverbot in eine Erhöhung des Bußgeldes auf 320 Euro umgewandelt. Das Amtsgericht begründete diese Entscheidung damit, dass für den Fahrer als Berufskraftfahrer ein Fahrverbot eine erhebliche Härte darstellen würde. Da er sich noch in der Probezeit seines neuen Arbeitsverhältnisses befand, bestand das Risiko, dass er aufgrund eines Fahrverbots ohne nähere Begründung gekündigt werden könnte. Laut Amtsgericht bestand diese Gefahr besonders, weil es dem Fahrer als Ersttäter nicht erlaubt wäre, in der Probezeit Urlaub zu nehmen und die Sperrzeit somit zu überbrücken. Das Amtsgericht kam daher zu dem Schluss, dass es unverhältnismäßig sei, das Fahrverbot aufrechtzuerhalten, und entschied sich stattdessen für eine Verdopplung des Bußgeldes.
Entscheidungsgründe
Gegen dieses Urteil legte die Staatsanwaltschaft Wiesbaden Rechtsbeschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main ein. Das Hauptargument der Staatsanwaltschaft war, dass das Amtsgericht ohne hinreichende Begründung vom vorgeschriebenen Fahrverbot abgesehen hatte. Das OLG Frankfurt setzte sich in seiner Entscheidung intensiv mit den Anforderungen an die Begründung eines Absehens vom Fahrverbot auseinander und stellte fest, dass das Amtsgericht wesentliche Anforderungen nicht erfüllt hatte.
Das Oberlandesgericht hob hervor, dass eine Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit um 43 km/h gemäß Bußgeldkatalog in der Regel als schwerwiegender Verstoß gilt, der normalerweise ein Fahrverbot zur Folge hat. Ein Fahrverbot hat in diesen Fällen eine doppelte Funktion: Einerseits dient es als „Denkzettel“ für den Betroffenen, um dessen Verhalten nachhaltig zu ändern, und andererseits erfüllt es eine allgemeine Abschreckungswirkung, um die Verkehrssicherheit zu gewährleisten. Von dieser Regel kann abgewichen werden, wenn besondere Umstände vorliegen, die eine außergewöhnliche Härte für den Betroffenen bedeuten würden.
Das OLG führte aus, dass das Amtsgericht die besondere Härte für den Betroffenen zwar erwähnt, aber nicht ausreichend begründet hatte. Es sei nicht hinreichend dargelegt worden, weshalb die Angaben des Fahrers, dass ihm eine Kündigung drohe, für glaubhaft erachtet wurden. Nach Auffassung des OLG muss ein Gericht, das von einem Fahrverbot absehen will, genauer begründen, warum es glaubt, dass ein solcher Arbeitsplatzverlust tatsächlich droht und warum keine alternativen Maßnahmen ergriffen werden können, um die beruflichen Nachteile zu vermeiden. Es reicht nicht aus, sich lediglich auf die Aussagen des Betroffenen zu stützen, ohne diese kritisch zu hinterfragen.
Das OLG wies zudem darauf hin, dass die Entscheidung des Amtsgerichts auch keine umfassende Prüfung der individuellen Umstände des Falles erkennen lasse. So seien zum Beispiel keine weiteren Beweismittel zur Bestätigung des Kündigungsrisikos herangezogen worden, und es fehlten konkrete Anhaltspunkte, die den besonderen Härtefall über die Einlassungen des Fahrers hinaus untermauern könnten. Um Missbrauch zu vermeiden, sei es erforderlich, dass das Gericht die Glaubwürdigkeit der Angaben des Betroffenen überprüft und nachvollziehbar darlegt, warum es diesen folgt. Diese Anforderungen an eine sorgfältige Begründung seien durch das Amtsgericht im vorliegenden Fall jedoch nicht erfüllt worden.
Das OLG Frankfurt entschied aufgrund dieser Mängel, das Urteil des Amtsgerichts aufzuheben und den Fall zur erneuten Verhandlung an dasselbe Gericht zurückzuverweisen. In der neuen Verhandlung muss das Amtsgericht prüfen, ob tatsächlich besondere Umstände vorliegen, die es rechtfertigen würden, von der Verhängung eines Fahrverbots abzusehen. Das Amtsgericht ist angehalten, detaillierte Feststellungen darüber zu treffen, ob die berufliche Situation des Fahrers eine außergewöhnliche Härte darstellt und welche Tatsachen dafür sprechen. Nur wenn diese außergewöhnliche Härte in der neuen Hauptverhandlung überzeugend begründet werden kann, könnte ein Absehen vom Fahrverbot in Betracht gezogen werden.
Das Oberlandesgericht machte jedoch klar, dass auch bei einer erneuten Entscheidung das Ziel, die Verkehrssicherheit durch strenge Maßnahmen zu gewährleisten, beachtet werden muss. Ein Fahrverbot darf nur dann ausnahmsweise aufgehoben werden, wenn das Risiko einer Kündigung des Fahrers konkret nachweisbar ist und keine Alternativen zur Verfügung stehen, mit denen der Verlust der Fahrerlaubnis vermieden werden könnte.
Fazit
Das Oberlandesgericht Frankfurt stellte in seiner Entscheidung klar, dass ein Absehen vom Fahrverbot nur in besonderen Ausnahmefällen gerechtfertigt ist. Eine Berufung auf eine mögliche berufliche Härte muss gut begründet und durch konkrete Tatsachen gestützt sein. Im vorliegenden Fall fehlten dem Amtsgericht diese Begründungen, sodass der Fall zur erneuten Entscheidung zurückverwiesen wurde.