Verkehrsrecht – Schadensregulierung: sog. Werkstattrisiko bei unbezahlter Werkstattrechnung, BGH Urteil v. 16.01.2024 – VI ZR 38/22
Sachverhalt
In dem Fall, der vor dem Bundesgerichtshof (BGH) am 16. Januar 2024 verhandelt wurde, geht es um einen Verkehrsunfall, bei dem das Fahrzeug der Geschädigten V. durch ein anderes Fahrzeug beschädigt wurde, das bei der beklagten Haftpflichtversicherung versichert ist. Die volle Haftung der Versicherung für den Schaden wurde von Anfang an nicht bestritten. Die Geschädigte beauftragte daraufhin eine Werkstatt, die Klägerin, mit der Reparatur des beschädigten Fahrzeugs. Die Reparaturkosten beliefen sich auf insgesamt 3.000,16 €, wobei ein Teil der Kosten für Fremdleistungen (Lackierarbeiten) sowie Verbringungskosten anfielen.
Die beklagte Versicherung zahlte jedoch nur einen Teil der Reparaturkosten und verweigerte die Zahlung des Restbetrags von 1.188,32 €. Sie begründete dies damit, dass die Lackierkosten zu hoch angesetzt seien und die Verbringungskosten von 80 € nicht notwendig gewesen seien. Zudem forderte sie die Vorlage einer ungeschwärzten Rechnung der Lackiererei, was jedoch von der Klägerin nicht erbracht wurde.
Im Rahmen der gerichtlichen Auseinandersetzung trat die Geschädigte ihre Schadensersatzansprüche gegen die Versicherung an die Werkstatt ab, sodass diese die Ansprüche gegenüber der beklagten Versicherung in eigenem Namen geltend machte.
Das Amtsgericht Bremen entschied zunächst, dass die Versicherung lediglich die Verbringungskosten in Höhe von 80 € zu zahlen habe, lehnte aber die Zahlung der weiteren Reparaturkosten ab. Daraufhin legte die Klägerin Berufung ein, woraufhin das Landgericht Bremen die Versicherung zur Zahlung der restlichen 1.108,32 € verurteilte. Zusätzlich sprach das Gericht der Klägerin die Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 196,62 € zu.
Die beklagte Versicherung akzeptierte dieses Urteil nicht und legte Revision beim BGH ein, um die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils zu erreichen.
Rechtliche Würdigung
Der BGH befasste sich im Wesentlichen mit der Frage, ob die Klägerin, also die Werkstatt, nach der Abtretung der Schadensersatzansprüche der Geschädigten von der Versicherung die Erstattung der noch offenen Reparaturkosten verlangen kann. Dabei stellte sich insbesondere die Frage, ob sich die Klägerin auf das sogenannte Werkstattrisiko berufen kann.
Werkstattrisiko
Das Werkstattrisiko beschreibt die Situation, in der der Geschädigte die Reparatur eines Fahrzeugs an eine Werkstatt vergibt und anschließend möglicherweise mit zu hohen oder unangemessenen Reparaturkosten konfrontiert wird, die nicht zur vollständigen Wiederherstellung des Fahrzeugs erforderlich waren. Nach gefestigter Rechtsprechung trägt der Schädiger in der Regel das Werkstattrisiko, was bedeutet, dass der Schädiger oder dessen Versicherung auch überhöhte oder nicht erforderliche Reparaturkosten übernehmen muss, sofern der Geschädigte keinen Einfluss auf die Entstehung dieser Kosten hatte.
Der BGH entschied jedoch, dass dieses Werkstattrisiko nur dem Geschädigten zugutekommt, nicht aber einer Werkstatt, die als Zessionar (also als Empfänger der abgetretenen Ansprüche) auftritt. Das bedeutet, dass die Werkstatt nicht pauschal die Zahlung der gesamten in Rechnung gestellten Kosten von der Versicherung verlangen kann, sondern den Nachweis erbringen muss, dass die abgerechneten Arbeiten tatsächlich erforderlich und sachgerecht ausgeführt wurden.
Zahlungsanspruch und Abtretung
Die Abtretung der Schadensersatzansprüche von der Geschädigten an die Werkstatt war grundsätzlich wirksam. Jedoch änderte dies nichts daran, dass die Werkstatt die Verantwortung für die Erforderlichkeit und Angemessenheit der Reparaturkosten trägt, wenn sie diese im eigenen Namen geltend macht. Die Werkstatt kann demnach von der Versicherung nicht pauschal die Zahlung des restlichen Rechnungsbetrags verlangen, ohne die Angemessenheit der abgerechneten Kosten nachzuweisen.
Zudem stellte der BGH klar, dass die Werkstatt keinen Anspruch auf Zahlung an sich selbst hat, wenn die Rechnung gegenüber der Geschädigten noch nicht vollständig beglichen wurde. Die Klägerin hätte stattdessen die Zahlung direkt an die Werkstatt Zug um Zug gegen Abtretung etwaiger Ansprüche gegen diese verlangen müssen. Damit bleibt das Risiko, dass Teile der Rechnung überhöht sind oder nicht gerechtfertigt werden können, bei der Werkstatt, und die Versicherung behält die Möglichkeit, sich mit der Werkstatt über die Höhe der Kosten auseinanderzusetzen.
Fazit
Der BGH hob das Urteil des Berufungsgerichts auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung zurück. Die Klägerin, also die Werkstatt, konnte sich nicht auf das Werkstattrisiko berufen und muss im weiteren Verfahren nachweisen, dass die in Rechnung gestellten Kosten, insbesondere die Lackierkosten, tatsächlich notwendig und sachgerecht waren. Die bloße Abtretung der Ansprüche reicht nicht aus, um die Versicherung zur vollständigen Zahlung zu verpflichten.